„Es ist ein extrem schwieriges Forschungsfeld“

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Mysterium Endometriose – eine Expertin beantwortet Fragen zu ihrem Fachgebiet.

Rund um das Thema Endometriose-Forschung wird viel behauptet und vermutet, aber was trifft wirklich zu? ENTtabuisiert hat nachgefragt bei Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriose-Zentrums an der Charité in Berlin. Sie spricht über Aspekte wie die Unterfinanzierung der Forschung, das fehlerbehaftete Abrechnungssystem für Fachärtze*innen und fordert die Anerkennung von Menstruationsbeschwerden und Schmerzen an sich.

Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner ist seit 2014 Leiterin des Endometriosezentrums der Charité, Universitätsmedizin Berlin. Seit 2001 ist sie an der Klinik für Gynäkologie für onkologische Chirurgie, Charité, beschäftigt, wo sie derzeit am Campus Virchow-Klinikum als Oberärztin tätig ist. Seit 2005 leitet sie das Endometrioseforschungslabor der Charité. 2019 wurde sie zur Professorin für Endometriose-Forschung in Deutschland berufen.

Die Charité definiert die Erkrankung Endometriose als eine gutartige, aber oft schmerzhafte und chronisch verlaufende Erkrankung von Frauen während der geschlechtsreifen Jahre, verursacht durch Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle. Der Name „Endometriose“ leite sich von „Endometrium“ ab, der lateinischen Bezeichnung für Gebärmutterschleimhaut. Deutschland ist das erste Land, in dem sich zertifizierte Endometriosezentren etabliert haben, um Frauen, die an Endometriose erkrankt sind, eine gute Betreuung durch Spezialisten zu sichern. Die EuroEndoCert (EEC) zertifiziert mögliche Endometriosezentren. Dies geschieht im Auftrag der Stiftung Endometriose-Forschung (SEF) und der Europäischen Endometriose Liga (EEL). Die Zertifizierung erfolgt auf drei Stufen. Die einzelnen Einrichtungen müssen für die Zertifizierung aufeinander aufbauende strukturelle und personelle Voraussetzungen erfüllen.

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Nach Angaben der Charité gibt es keine allumfassende Erklärung für die Entstehung der Endometriose. Doch auch wenn man nicht erklären kann, warum einige Frauen an Endometriose erkranken, gibt es mittlerweile gute Erklärungsmodelle, wie Endometrioseherde entstehen können, aber nur vage Hypothesen, warum einige Frauen daran erkranken und andere nicht.

ENTtabuisiert: Stimmt es, dass die Entstehung der Erkrankung Endometriose evolutionär begründet ist?

Prof. Mechsner: Ja, wahrscheinlich hat es tatsächlich etwas mit der Evolution zu tun. Viele Jahre war die Forschung sehr fehlgeleitet und hat sich nur auf die Endometriose im Bauchraum fokussiert. Dabei wurde vergessen, dass die Erkrankung irgendwo ihren Ursprung haben muss. Sehr wahrscheinlich ist es, dass der Ursprung dieser Endometriose-Zellen die Gebärmutter selbst ist. Dazu hat der Herr Prof. Dr. med. Gerhard Leyendecker im Jahr 2019 die Publikation „Evolutionäre Aspekte in der Pathogenese und Pathophysiologie von Adenomyose und Endometriose“ im Journal für Gynäkologische Endokrinologie veröffentlicht. Darin spricht er den Evolutionsaspekt an. Wir wissen, dass Frauen, die später Endometriose entwickeln, sehr häufig schon früh extreme Regelschmerzen angeben. Herr Prof. Leyendecker hat schon lange daran geforscht. Er führte, zum Beispiel, intrauterine Druckmessungen durch und hat früh erkannt, dass Frauen mit extremeren Regelschmerzen, einen sehr starken Druckaufbau in der Gebärmutter haben.

ENTtabuisiert: Welche Theorie erklärt diesen Zusammenhang?

Prof. Mechsner: Die aktuelle Theorie lautet, dass es in der Schicht zwischen Gebärmutterschleimhaut und Muskulatur durch starke Kontraktionen, durch die Kontraktionskraft der Gebärmuttermuskulatur, zu einer Mikrotraumatisierung kommt. Dadurch werden Reparaturmechanismen hoch reguliert und es kommt zu einer Aktivierung von Stammzellen in der Gebärmutter. Wenn das passiert und diese Stammzellen aktiviert werden, dann können sich diese auch bewegen und theoretisch in die Tiefe der Gebärmutter abwandern und zu Adenomyose führen. Oder durch den Eileiter in den Bauchraum gelangen und dort Endometrioseherde bilden. Diese Theorie heißt Archimetratheorie und Tissue Injury and Repair (TIAR). Dieses Konzept würde auch die Tatsache erklären, dass Endometrioseläsionenen nicht nur aus Schleimhaut-ähnlichem Gewebe, sondern auch aus Gebärmutter-ähnlicher Muskulatur bestehen und quasi Mini-Uteri bilden.

ENTtabuisiert: Woran liegt es, dass die Kontraktionskraft der Gebärmuttermuskulatur so stark ausgeprägt sein kann?

Prof. Mechsner: Laut Prof. Leyendecker hat die Gebärmutter gewisse Vorteile, wenn sie sich gut bewegt. Für einen Muskel ist es normal sich zu bewegen. Das Herz bewegt sich, der Magen bewegt sich und auch die Gebärmutter hat eine gewisse Eigenperistaltik. Diese ist zum Beispiel für den gerichteten Spermientransport wichtig. Wenn man schwanger werden möchte und sich ein Ei im Eileiter befindet, pumpt die Gebärmutter die Spermien in die Richtung des Eies. Zur Geburt hat die Gebärmutter die Aufgabe, das Kind wieder auszutreiben. Dazu müssen die Wehen gut funktionieren. Wenn es in der Vergangenheit oder auch heute noch, aufgrund einer Wehenschwäche zu einem Geburtsstillstand kommt und es keine Medikamente und keinen Kaiserschnitt gibt, dann bleibt das Kind stecken und daran sterben Mutter und Kind. Nach der Geburt, wenn der Mutterkuchen sich abgelöst hat, muss sich die Gebärmutter wieder zusammenziehen um die Gefäße abzudrücken, damit die Frau nicht verblutet. Das sind alles wichtige Dinge, für die die Gebärmutterfunktion lebensnotwendig ist. Ansonsten kann man sterben oder wird nicht schwanger.

ENTtabuisiert: Eine ursprünglich positive Eigenschaft der Gebärmutter wirkt sich demnach negativ aus?

Prof. Mechsner: Prof. Leyendeckers Theorie ist, dass Frauen in der Vergangenheit viel eher schwanger geworden sind als heutzutage. Damals war es von Vorteil eine starke, gut kontrahierende Gebärmutter zu haben. Dies führte zu einem Überlebensvorteil. Das würde erklären, warum Endometriose so häufig auftritt. Mit 10 bis 15 Prozent ist die Erkrankung so häufig, dass es irgendwie evolutionär bedingt sein muss. Sonst geht das gar nicht. An sich ist die Gebärmutterbewegung gut, aber heutzutage benutzen wir die Gebärmutter nicht mehr in dem Sinne, dass wir schon im Alter von 16 Jahren schwanger werden. Deshalb hat die Gebärmutter jetzt mehr Zeit sich kaputt zu krampfen, also auto-traumatisierend zu sein. Vor rund hundert Jahren, im Jahr 1919, hatten die Frauen in ihrem Leben 40 Menstruationsblutungen und heutzutage 400. Das ist theoretisch und physiologisch so nicht gedacht. Man muss sich klarmachen, dass die Veranlagung zu einer sehr stark kontrahierenden Gebärmutter an sich etwas Positives ist, aber so wie wir jetzt leben, haben diese Frauen einen extremen Nachteil, indem sich die Gebärmutter durch zu starke Bewegung auf Dauer selbst schädigt.

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Endometriose ist, laut der Charité, eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Dennoch ist diese Erkrankung nur wenig bekannt und es vergehen in Deutschland noch immer sechs bis acht Jahre vom Auftreten erster Symptome bis Endometriose diagnostiziert wird.

ENTtabuisiert: Woran liegt es, dass die Diagnostik eine hohe Schwierigkeit darstellt?

Prof. Mechsner: Eine aktuelle Umfrage aus Australien hat 13- bis 24-jährige Frauen befragt. Davon gaben 80 Prozent an Regelschmerzen zu haben. Nun ist es aber nicht so, dass auch 80 Prozent pathologische Kontraktionsmuster und ein Risiko für Endometriose haben. Als Arzt oder Ärztin muss man da sehr differenziert nachfragen, um rauszubekommen, was noch normal und was nicht normal ist. Und das braucht wirklich Zeit. Ich sage immer: Es ist nicht schwer die Diagnose zu stellen, aber man braucht dazu die Erfahrung, um das einschätzen zu können. Und das fehlt mir in unserem Gesundheitssystem.

ENTtabuisiert: Liegt ein strukturelles Problem im Gesundheitssystem vor?

Prof. Mechsner: Der Frauenarzt oder die Frauenärztin müsste viel mehr zum Zyklus, zu Endometriose und zum Ziel einer Hormontherapie erklären. Aber da gibt es ein großes Problem: Denn das wird nicht bezahlt. Das Gespräch dauert mindestens eine halbe Stunde und der Frauenarzt oder die Frauenärztin kann das nicht abrechnen. Und deswegen passiert es im Moment schlicht und ergreifend nicht. Ein niedergelassener Frauenarzt, der sich länger als zehn Minuten mit einer Patientin beschäftigt, arbeitet nicht mehr wirtschaftlich. Durch die mangelnde Aufklärung verschleppt sich die Diagnose extrem. In diesem frühen Stadium sieht man oft noch nicht viel im Ultraschall. Oft wird noch angenommen, dass man Endometriose ohne eine Bauchspiegelung nicht sehen könne. Das hat sich jetzt gewandelt, muss aber noch intensiv in die Basisversorgung eingeführt werden. Und so lange es keine adäquate Abrechnungsmöglichkeit gibt, ist das sehr schwer.

ENTtabuisiert: Welche Lösungsvorschläge hätten Sie, um die Diagnostik zu verbessern?

Prof. Mechsner: Ganz egal, ob jemand ein Risiko für Endometriose hat oder nicht, Regelschmerzen sollten insgesamt anders wahrgenommen und begleitet werden. Man müsste viel eher auch ein Bewusstsein für Zyklus-Beschwerden schaffen, diese ernst nehmen und dementsprechend beraten und behandeln. Mithilfe einer Dokumention kann man einschätzen, wie stark die Schmerzen sind und wie sich diese entwickeln. Dann würde man nach ein bis zwei Jahren sagen: Wir müssen hier die nächsten Schritte machen. Man muss nicht sofort eine Bauchspiegelung machen, im Gegenteil. Wenn ich jede 16-Jährige mit Regelschmerzen operieren würde, würde ich noch gar keine Endometriose sehen, weil im Bauchraum vermutlich noch gar nichts wäre. Meiner Meinung nach, spielt sich die Erkrankung die ersten Jahre nur in der Gebärmutter ab. Ich nenne das die biochemische Phase, in der die Frauen Schmerzen haben, obwohl man noch nicht so viel sieht. Aber es fällt den Ärzten*innen offensichtlich schwer, diese Patientinnen trotzdem zu behandeln.

ENTtabuisiert: Woran liegt es, dass die Krankheit bisher insgesamt so wenig erforscht ist?

Prof. Mechsner: Es ist sehr schwer an Endometriose zu forschen, da wir keinen Zugriff auf das Gewebe haben, das wir untersuchen müssten: Die Gebärmütter 16-jähriger Frauen. Tiermodelle sind auch keine Lösung. Die einzigen Tiere, die spontane Endometriose entwickeln sind Baboon-Affen, Paviane. Wir wissen nicht, ob die Erkrankung bei den Tieren auch Sterilität und Schmerzen verursacht. Das können uns die Tiere ja nicht sagen. Es gibt nur wenige Zentren weltweit, die mit Baboon-Affen forschen. Und ansonsten behilft man sich mit Tiermodellen. Aber das ist sehr mühsam. Vieles, was man aus diesen Pseudo-Tiermodellen erforscht, lässt sich wiederum nicht auf den Menschen übertragen. Es gibt sehr viele Hürden, da es eine gutartige Erkrankung ist, die sehr heterogen verläuft und die Schmerzen sehr subjektiv sind. Das macht es zu einem extrem schwierigen Forschungsfeld. Und zusätzlich ist die Forschung sehr schwierig zu finanzieren, da es keine großen Förderungen gibt, aus denen wir Forschungsgelder erhalten könnten. Es gibt zwar die Stiftung Endometriose Forschung (SEF), der ich angehöre, aber da nutzen wir Spenden, um Projekte zu finanzieren. Und jedes kleine Projekt, das wir über die SEF durchführen hat seine Grenzen. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gibt es keine bundesweiten Ausschreibung zur Endometriose-Forschung. Ich kann meine Forschungsgelder nur über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beantragen und stehe dann in Konkurrenz zu allen anderen Erkrankungen.

Das Endometriosezentrum der Charité wurde im Jahr 2000 gegründet. Mit über 1.500 Konsultationen und mehr als 150 Endometriose-Operationen im Jahr ist das Endometriosezentrum Charité, nach eigenen Angaben, eines der größten Zentren in Deutschland. Einmalig für Deutschland ist die enge Verknüpfung von Klinik und Forschung. Es ist das einzige deutsche Zentrum mit einem eigenständigen Endometriose-Forschungslabor, an dem Biologen und Mediziner Grundlagenforschung durchführen.

ENTtabuisiert: Woran arbeiten Sie im Moment? Was macht ihre Arbeit an der Charité aus?

Prof. Mechsner: An der Charité haben wir ein richtiges Grundlagenforschungslabor, in dem wir versuchen die Pathogenesenmechanismen der Erkrankung zu verstehen. Wir untersuchen die Gebärmutterveränderungen, machen Ultraschall-Untersuchungen an Jugendlichen und achten auf erste Veränderungen in der Gebärmutter. Wir führten dazu ein Grundlagenprojekt durch und konnten die zuvor angesprochenen Stammzellen identifizieren. Dazu reichten wir gerade einen weiterführenden DFG-Antrag ein, um diese Stammzellen-Idee nochmal besser zu erforschen. Zudem beschäftigen wir uns sehr mit Schmerzmechanismen und neurogener Inflammation. Die Endometriose-Läsionen verursachen sehr viele Entzündungen und sezernieren auch Schmerzwachstumsfaktoren für Nervenfasern. Dann kommt es dazu, dass Nervenfasern dort einwachsen und diese Nervenfasern wieder an Entzündungen beteiligt sind und in Interaktion mit Entzündungszellen und Blutgefäßen stehen. Das nennt sich neurogene Inflammation. Dann wissen wir, dass die Immunzellen, die normalerweise das fremde Gewebe außerhalb der Gebärmutter abbauen sollen, eine Dysfunktion haben. Das ist auch ein großer Forschungsschwerpunkt bei uns: Immunzell-Dysfunktion. Außerdem führen wir verschiedene klinische Studien durch.

ENTtabuisiert: Ist das Thema Endometriose im Medizinstudium verankert oder müssten sich Mediziner auf freiwilliger Basis weiterbilden?

Prof. Mechsner: Man kann im Studium nicht alles abdecken. Wenn ich lehre, besprechen wir immer den Zyklus und Endometriose nach Möglichkeit, aber wir haben natürlich auch einen gewissen Lehrplan. Im Block „Unterbauchschmerzen“ gibt es natürlich noch viele andere Dinge, die besprochen werden müssen. Das könnte man alles noch intensiver machen, aber Gynäkologie ist eins von vielen Fächern, das die Studierenden lernen. Und wenn man anschließend seinen Facharzt macht, kann man gar nicht an dem Thema Endometriose vorbeikommen. Das geht gar nicht. Es gibt genügend Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir haben im April 2022 die Arbeitsgemeinschaft Endometriose e. V. (AGEM) gegründet, die von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) als eigenständige Arbeitsgemeinschaft anerkannt wurde. Dort können Interessierte beitreten, die sich multimodal mit Endometriose beschäftigen möchten. Diese Gemeinschaft organisiert Qualifizierungs-Kurse für niedergelassene Frauenärzte*innen. Im März fand der deutschsprachige Endometriose-Kongress statt, im Juni ist der europäische Endometriose-Kongress, im Mai 2023 findet der Endometriose-Welt-Kongress statt. Es passiert durchaus einiges. Die europäische Endometriose-Liga veranstaltet monatlich Webinare. Wir von der Arbeitsgemeinschaft Endometriose führen Fallbesprechungen durch. Es gibt durchaus einige Möglichkeiten sich auf dem Gebiet weiterzubilden. Aber man kann keinen zwingen.

ENTtabuisiert: Stimmt es, dass sich bei Betroffenen die Schmerzen mit der Zeit verstärken können?

Prof. Mechsner: Genau. Mittlerweile haben die meisten verstanden, dass es wirklich sehr starke Schmerzen sind, die die Frauen mit ihrer Regelblutung haben. Manche, die später auch Kinder bekommen haben, sagen der Geburtsschmerz war gar nichts gegen ihre Regelschmerzen. Man muss immer schauen, wie stark die Schmerzen sind. Auf der Visuellen Analogskala (VAS) geben die meisten 7, 8, 9 von 10 an. Das sind sehr starke Schmerzen, die oft zu vegetativen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall führen. Und die sind natürlich nicht normal. Aber die Erfahrung muss man haben. Das setzt voraus, dass man sich damit auseinander gesetzt hat, sonst kann man es nicht lernen. Also muss man Patientinnen haben, bei denen man das alles beobachten und behandeln konnte. Wir wissen jetzt, dass je länger diese starken Schmerzen anhaltend sind, desto eher kann es zu Veränderungen auf Rückenmarksebene, auf Gehirnebene kommen. Die dann auf molekularer Ebene zu Veränderungen der Neurotransmitter-Freisetzung und auch zu morphologischen Veränderungen führen. Das zeigt uns, dass das Schmerzgedächtnis hier mit reagiert. Das liegt daran, dass der Körper diese starken Schmerzen nicht einfach so ignorieren kann. Stattdessen reagiert der Körper mit der Zeit darauf. Und das ist ein Forschungsfeld, das erst in den letzten Jahren aufgekommen ist. Es fehlt das Verständnis, was diese chronischen Schmerzen mit den Frauen machen. Für Männer besteht das Problem, dass sie diese Art des physiologischen Schmerzes nicht kennen. Und dennoch muss man sich immer wundern, wie sie sich eine Meinung dazu erlauben können, wenn sie das selber nie erlebt haben.

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ENTtabuisiert: Was fehlt, ihrer Meinung nach, dafür dass das Thema gesellschaftlich anerkannt wird?

Prof. Mechsner: Dazu müssen wir wirklich umdenken. Ich denke, darüber muss man von klein auf in den Schulen reden. Wie ich schon sagte, Männer können sich diese Schmerzen gar nicht vorstellen. Das muss gesellschaftlich anders aufgezogen werden. Ich denke, Aufklärung in Schulen und unabhängige Informationen wären eine gute Sache. Die Charité erhielt jetzt tatsächlich eine Förderung in Höhe von sechs Millionen Euro für ein Früherkennungsprogramm. Damit werden wir eine App entwickeln, mit deren Hilfe wir Informationen an junge Mädchen vermitteln wollen. Es soll eine interaktive App sein mit Anleitungen zum Selbstmanagement von Menstruationsschmerzen und Informationen zum Zyklus. Und wenn wir merken, dass der Menstruationsschmerz tatsächlich so nicht beherrschbar ist, laden wir die jungen Frauen für eine Früherkennungs-Untersuchung ein. Dazu schaffen wir ein neues Team, das aus einem Arzt oder einer Ärztin, einem/r Ernährungsberater/in, einem/r Physiotherapeuten/in und einem/r Psychologen/in bestehen wird. Geplant ist dann zu schauen, wie wir ein gutes Konzept für die Frau finden und wie man weitermachen kann. Wir erhielten diese Forschungsgelder von der Deutschen Luft- und Raumfahrt (DLR), da wir mit unserer Idee eine Ausschreibung für den Innovationsfond für neue Versorgungsformen gewonnen haben. So eine Versorgungsform gibt es bisher nicht. Und wenn wir mit diesem Projekt zeigen können, dass die jungen Frauen weniger Fehltage und weniger Schmerzen haben, dann wird das Früherkennungsprogramm als neue Versorgungsform von der Ärztekammer aufgenommen und die App kann dann als Medizinprodukt zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe, dass wir damit viel erreichen und die Wahrnehmung verändern können.

Das Interview führte Anna Budde.

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