„Von heute auf morgen wird dein Leben auf den Kopf gestellt“

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Triggerwarnung: In dem folgenden Artikel werden Suizidgedanken angesprochen.

Wie es ist, an Endometriose zu erkranken und diese Krankheit zu behandeln

Wie ist es, wenn man eine Krankheit hat, die viele Menschen nicht kennen? Eine Krankheit, die einem keiner ansieht? Eine Krankheit, die chronisch werden kann und sogar Mediziner ratlos macht? Victoria kennt die Antworten nur zu gut: Sie hat Endometriose.

ENDO-WAS?

Langsam, aber sicher gewinnt die Krankheit Endometriose mehr Bekanntheit. Aber was genau kann man sich darunter vorstellen? Die Endometriose‐Vereinigung Deutschland e.V. erläutert, dass sich bei Endometriose zum Beispiel an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell Zysten und Entzündungen ansiedeln, sogenannte Endometrioseherde. In selteneren Fällen könne es außerhalb des Bauchraums wie in der Lunge zu Endometrioseherden kommen. Ihr Gewebe ähnelt dem der Gebärmutterschleimhaut und die Herde könnten mit dem hormonellen Zyklus wachsen und bluten. Endometrioseherde könnten – obwohl sie als gutartig kategorisiert werden – metastasieren und bleibende Schäden an Organen verursachen. Auch wenn die Krankheit noch nicht überall bekannt ist, ist Endometriose weit verbreitetet und wirke sich bei Betroffenen auf den Hormonhaushalt und das Immunsystem aus. Inzwischen werde sie als systemische Erkrankung bezeichnet, die interdisziplinär behandelt werden sollte, so die Endometriose‐Vereinigung Deutschland.

Im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte das Robert Koch-Institut (RKI) im Jahr 2020 die Publikation „Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland“. Im Kapitel „2 – Gesundheit der Frauen in Deutschland – Überblick“ heißt es, dass verlässliche Angaben zur Häufigkeit der Endometriose fehlen würden. Es werde geschätzt, dass etwa 10 Prozent bis 15 Prozent aller Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter von Endometriose betroffen seien und in Deutschland jährlich etwa 40.000 Frauen neu erkranken würden. Ein Teil der Erkrankten werde stationär behandelt. Für das Jahr 2017 wurden in der Krankenhausdiagnosestatistik 26.068 stationäre Behandlungsfälle mit der Hauptdiagnose einer Endometriose ausgewiesen. Dies entspräche 67 Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen. In der Altersgruppe der 25- bis 45-Jährigen würden die meisten Krankenhausbehandlungen verzeichnet werden. Die Zahl der Krankenhausfälle hätte in den letzten zehn Jahren zugenommen, möglicherweise als Folge einer Sensibilisierung und verbesserten Diagnostik.

LANGWIERIGES WARTEN AUF DIE DIAGNOSE

Victoria Bautze ist 27 Jahre alt und hat Endometriose der Stufe 4, tief-infiltrierend. Auf Instagram ist sie als @endofluencer bekannt und betreibt Aufklärung rund um das Thema, indem sie anschaulich und transparent Einblicke in den Alltag einer Endometriose-Erkrankten gewährt. Im Alter von 14 Jahren zeigte Victoria die ersten Symptome. Ihre Diagnose erhielt sie erst zehn Jahre später: Als sie 24 Jahre alt war. Im Juni 2020 wurden bei ihr durch eine Laparoskopie Endometrioseherde im Bauchraum entdeckt und operativ entfernt. „Im Moment der Diagnose, habe ich gar nicht verstanden, was das für mich heißt“, schildert Victoria. Sie war zu aller erst erleichtert, dass die Ursache ihrer Beschwerden endlich benannt wurde. „In dem Moment dachte ich noch, dass es gut ist, dass ich jetzt weiß, was ich dagegen tun kann. Hätte ich zu dem Zeitpunkt gewusst, was auf mich zukommt, wäre ich wahrscheinlich nicht so erleichtert gewesen“, erinnert sich Victoria zurück.

Victoria Bautze. Copyright: Victoria Bautze

Professorin Dr. med. Mandy Mangler ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin. Sie fungiert als Expertin des Tagesspiegel-Podcast „Gyncast“ und behandelt Menschen, die gutartige oder bösartige Tumorerkrankungen haben. Als gutartige Tumorerkrankung fällt Endometriose in ihr Fachgebiet. Prof. Dr. Mandy Mangler behandelt Menschen, die Endometriose haben, konservativ und operativ.

Die Diagnostik stelle teilweise eine so hohe Schwierigkeit dar, weil die Endometriose zum Teil sehr klein sei, so Prof. Dr. Mandy Mangler. „Es kann sein, dass eine Frau an vier Stellen im Bauch Endometriose hat, aber an diesen vier Stellen ist diese jeweils nur 5 oder 6 Millimeter groß. Das heißt, man sieht weder im Ultraschall, noch mit der Magnetresonanztomographie (MRT), noch mit der Computertomographie (CT) etwas. Es gibt keine Untersuchungsmöglichkeit der Welt, die diese kleinen Herde findet und diese Stellen der Endometriose diagnostizieren könnte. Dazu muss man bei einer Bauchspiegelung in den Bauchraum hineinschauen. Nur so kann man die Endometriose diagnostizieren. Man will nun aber natürlich nicht jede Frau sofort bauchspiegeln, weil man dann auch einen hohen Anteil an Menschen aus Versehen oder umsonst operieren würde. Das ist dann ärgerlich. Auch die Gebärmutter ist mikroskopisch verändert, durch eine Untersuchung lässt sich dies aber nicht feststellen, sondern nur durch eine Gewebeentnahme bei einer Operation.“

DAS CHAMÄLEON DER ERKRANKUNGEN

Laut Prof. Dr. Mandy Mangler hat Endometriose zwei Hauptsymptome: „Sehr starke Regelschmerzen und Unfruchtbarkeit. Zudem gibt es noch zahlreiche andere Auswirkungen wie zum Beispiel Schmerzen beim Wasserlassen, beim Stuhlgang, beim Sex und chronische Unterbauchschmerzen. Man bezeichnet Endometriose auch als Chamäleon der Erkrankungen, weil es so unterschiedlich auftreten und sich ändern kann, und die Beschwerden sich über den Zyklus ebenfalls verändern können. Endometriose kann verschiedene Auswirkungen und Ausprägungen haben. Es gibt vier Endometriose-Grade.“ Außerdem könnten sich die Schmerzen mit der Zeit verschlimmern, wenn die Krankheit nicht behandelt wird, so Mangler. „Man hat am Anfang zum Beispiel ein, zwei Tage lang Regelschmerzen, aber die werden dann immer schlimmer. Der Schmerz wird chronisch, weil der Körper merkt, dass es jeden Monat wieder an den gleichen Stellen weh tut. Der Körper produziert diesen Schmerz immer wieder neu und auch stärker, weil er damit signalisiert, dass jetzt irgendwas passieren muss. So produziert er noch mehr Schmerzen als eigentlich notwendig wären.“

Victorias Symptome verschlimmerten sich 2018, als sie nach dem Studium nach München zog und anfing zu arbeiten: „Da ging es dann richtig los – mit Durchfall und Verstopfung im Wechsel und Blut im Stuhl. Ich hatte sehr starke azyklische Bauchschmerzen, die sich oft wie ein Messerstich in den Bauch anfühlten. Ganz oft hatte ich auch ein stichelndes Enge-Gefühl rund um die Brustgegend, so dass ich dachte, ich bekäme keine Luft. Ich hatte Schmerzen beim Geschlechtsverkehr – das unterteilt sich ja auch nochmal, manche Frauen haben Schmerzen beim Orgasmus, das war bei mir nicht der Fall, sondern bei der Penetration in bestimmten Stellungen. Dazu kam die starke Erschöpfung. Ich habe mich immer total ausgelaugt gefühlt“, beschreibt Victoria. „Bei mir war das Verwirrende, dass ich nie starke Schmerzen während der Periode, einen unregelmäßigen Zyklus oder eine besonders starke Blutung hatte. Mit 19 Jahren haben sie mir meinen Blinddarm herausgenommen, weil sie dachten, dass es daran lag, aber rückblickend war das wahrscheinlich schon die Endometriose.“

Der weibliche Zyklus. Quelle: Endometriose App unter https://endometriose.app/

Die Stufe der Erkrankung, die man hat, sage nicht immer unbedingt etwas über die Schwere der Einschränkungen aus, so Victoria. Es gebe auch Frauen, die Stufe 4 tief-infiltrierend haben, und nichts merken würden. Andere wiederum hätten nur einen kleinen Endometriose-Herd am Bauchfell und damit viele Probleme.

Zur Entstehung der Endometriose gebe es, laut Prof. Dr. Mandy Mangler, sehr verschiedene Theorien: „Die Haupttheorien sind, dass es sich dabei um verschleppte Schleimhaut handelt. Die Gebärmutter ist krank und produziert kranke Zellen. Diese Zellen werden über die Eileiter in den Bauchraum gespült und pflanzen sich dort ein. Das ist die eine Theorie. Die andere ist, dass sich im Bauchraum Stammzellen befinden, sich diese Stammzellen entarten und zu Endometriose-Zellen verändern können. Deswegen entstehen die Endometrioseherde im Bauchraum. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus mehreren Ursachen. Es gibt dazu verschiedene Meinungen.“

INDIVIDUALISIERTE BEHANDLUNGSMETHODEN

Bei Endometriose gibt es nicht die eine universal gültige Behandlungsmethode. „Wenn jemand seit langen Jahren Endometriose hat, kann eine Operation und hormonelle Therapie helfen“, führt Mangler aus. „Diese hormonelle Therapie ist dann gestagenhaltig. Gestagen ist das Hormon, das bei Frauen zusammen mit Östrogen produziert wird. Von Gestagen weiß man, dass es die Schmerzen lindert. Da die Krankheit ab der Geschlechtsreife auftreten kann, wäre es bei Endometriose wichtig dafür zu sorgen, dass man die Krankheit so früh wie möglich im Leben erkennt. Idealerweise bei Mädchen. Diese müsste man dann noch nicht operieren. Das heißt wir wollen junge Menschen identifizieren, die eine Endometriose entwickeln oder eine beginnende Endometriose haben und dann dafür sorgen, dass diese jungen Menschen so wenig Zyklen und Menstruationen wie möglich haben, weil es mit jeder Menstruation schlimmer wird. Das könnte man bei den jungen Menschen beispielsweise durch eine Hormontherapie bewirken oder durch eine gestagenhaltige Spirale, die man einsetzt. Und dann werden diese Menschen idealerweise im Frühstadium erkannt und im Frühstadium therapiert. Besonders bei Endometriose ist es so, wenn die regelmäßigen Zyklen aufhören – ob durch die Menopause bei älteren Frauen oder in jüngeren Jahren durch hormonelle Methoden – dass sich das Ganze verbessert.“

Auch Victoria hat schon diverse hormonelle Therapien ausprobiert, um ihre Beschwerden zu lindern. Aktuell habe sie eine Hormonspirale liegen. „Die Überlegung einerseits ist, die Menstruation zu unterdrücken, um damit zu verhindern, dass neue Herde wachsen“, erklärt Victoria. „Darüber hinaus weiß man, die Endometriose reagiert auf Östrogene. Deshalb versucht man den Östrogen-Spiegel zu senken. Dafür verwendet man verschiedene Formen. Es gibt die Hormonspiralen, das Desogestrel, welches in östrogen-freien Mini-Pillen enthalten ist. Das ist ein Gelbkörperhormon, es suggeriert dem Körper, man wäre schwanger und deswegen menstruiert man nicht. Außerdem gibt es noch die GnRH-Analoga, bei denen das Östrogen komplett gesenkt wird. Das läuft über Spritzen und man kommt künstlich in die Wechseljahre. Ich hatte bislang Spiralen und das Desogestrel. Auf die GnRH-Analoga wollten sie mich setzen, aber ich habe mich geweigert, weil die Nebenwirkungen zu stark sind.“

Victorias Bauch nach einer Operation. Copyright: Victoria Bautze.

Die Therapiemöglichkeiten fallen je Fall individuell aus. Victoria schildert: „Die Endometriose ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht heilbar, weil unbekannt ist, wie sie entsteht. Das Einzige, was man wirklich machen kann ist symptomatisch vorzugehen und zu behandeln. In meinem Fall habe ich mein ganzes Leben komplett umgekrempelt. Ich hörte auf Alkohol zu trinken und den Sport zu machen, der mir Schmerzen bereitete. Ich musste mir angewöhnen, große Ruhephasen einzubauen, schlafe viel und bin bei Weitem nicht mehr so aktiv wie früher. Ein riesiger Punkt war meine Ernährungsumstellung, weg von entzündlichen Stoffen wie Zucker, Weizen, Koffein. Das funktioniert ganz gut.“ Die Behandlungen erfolgen fachübergreifend. „Es ist ein Teufelskreis: Die Endometriose wird operiert, danach geht es der Endometriose besser und dann kommen die Folgen der OPs.“ Und so geht Victoria zur Osteopathie, um die Folgen der Operationen behandeln zu lassen. Und zur Neuraltherapie, die ihr bei den chronischen Schmerzen hilft, zur Psychotherapie und zum Heilpraktiker. Außerdem achte sie auf genügend Bewegung in Form von Wassergymnastik, Yin-Yoga und Dehnen.

Wenn man einen guten Arzt oder eine gute Ärztin habe, gehe die Behandlung über die Symptomlinderung hinaus, erklärt Prof. Dr. Mandy Mangler. Die Behandlung von Endometriose sei eine Teamarbeit. „Das kann nicht nur ein Arzt oder eine Ärztin leisten. Ein*e Physiotherapeut*in, ein*e Psychologe*in, ein*e Verhaltenstherapeut*in sollten dabei sein. Idealerweise hat die Frau, die an Endometriose leidet, viele Menschen, die sie unterstützen und ihr helfen damit umzugehen“, so Mangler.

Das trifft in Victorias Fall zu: „Die Endometriose fühlt sich so beeinträchtigend an, weil sie jeden Lebensbereich infiltriert und verändert. Dazu gehören auch die sozialen Kontakte – Freunde, Familie, Partnerschaft und Arbeit. Es gibt sehr viele Betroffene, die auf Unverständnis stoßen, das Pech hatte ich zum Glück nicht. Ich habe einen sehr unterstützenden Partner, meine Freunde und auch meine Familie sind sehr verständnisvoll. Auch mein Arbeitgeber war sehr entgegenkommend, obwohl ich sehr lange krank gemeldet war, weil es mir so schlecht ging.“

Victoria im Krankenhaus. Copyright: Victoria Bautze.

„Endometriose zu haben stellt alles auf den Kopf“, erklärt Victoria. „Ich lebe jetzt schon zwei Jahre bewusst mit der Krankheit und konnte dementsprechend auch psychisch große Schritte in Sachen Akzeptanz machen. Aber das war nicht immer der Fall. Ich konnte früher nicht so offen darüber sprechen wie jetzt. Wenn ich ganz ehrlich bin, war es zwischenzeitlich schon so extrem, dass ich wirklich Selbstmordgedanken hatte, weil einem das Leben einfach weggenommen wird. Ich war ein Mensch, der mit seinem Partner sehr oft auf Konzerte gegangen ist, sehr viel gereist ist und viel Sport gemacht hat. Es geht dann auf einmal gar nichts mehr, weil man der Belastung nicht mehr standhält. Essen ist ein großes Hobby von mir, ich liebe italienisches Essen. Plötzlich kannst du den Rotwein nicht mehr trinken, kein Tiramisu, keine Pizza genießen. Du kannst nicht mehr arbeiten, musst permanent deinen Freunden absagen, hast jeden Tag starke Schmerzen. Dir wird gesagt, dass du wahrscheinlich keine Kinder bekommen kannst. Das Leben was du hast und das Leben, wie du es dir ausgemalt hast, ist von heute auf morgen weg. Das ist schon sehr extrem. Es ist schwierig diesem Verlust nicht nachzutrauern. Mir wurde von Psychotherapeuten gesagt, dass es vom Verlust dem nahe kommt, als würde man eine nahestehende Person verlieren, wie eine Krebserkrankung oder ein Unfall, nach dem man plötzlich im Rollstuhl sitzt. Von heute auf morgen steht alles auf dem Kopf.“

WERTSCHÄTZUNG DER FRAUENGESUNDHEIT

Es gebe verschiedene Ursachen, warum die Krankheit so wenig erforscht ist, so Mangler. „Eine davon ist, dass es eine Frauenkrankheit ist und diese die Studiengruppen nicht so interessiert. Eine andere Ursache ist, dass Regelschmerzen bei Frauen eben nicht ernst genommen werden und die Schmerzen heruntergespielt werden. Dann kommt noch dazu, dass die Behandlung nicht besonders lukrativ ist, also nicht teuer genug ist. Daher interessiert sich kaum ein Mediziner dafür. So kann man das als multifaktorielle Ursachen zusammenfassen.“

Victoria vertritt den Standpunkt, es würde nicht genug passieren. Dafür könne keiner was, wenn die Gelder fehlten. „Das ist schon sehr extrem. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass Endometriose eine Volkserkrankung ist. Endometriose ist so häufig wie Diabetes mellitus Typ 2.“ Beide Erkrankungen weisen, nach Angaben des Medizinreports April 2022 im Deutschen Ärzteblatt, eine Lebenszeitprävalenz von 11 Prozent auf. Das bedeute, eine von zehn Frauen erkrankt daran.

Victorias Meinung nach, weiß die Gesellschaft viel zu wenig über die Krankheit. „Das ist auch der Grund, warum ich auf Instagram so viel Aufklärungsarbeit betreibe, weil das für mich der Hauptinformationskanal war, um zu verstehen, was mir fehlt und was dagegen hilft. Es war ein guter Mechanismus gegen diese Ohnmacht, die ich empfand und es versteckte sich auch etwas Wut dahinter. Es geht mir primär um Informationsverbreitung und Hilfe für Betroffene. Ich möchte Verständnis dafür schaffen, was das eigentlich mit sich bringt und die Tragweite sichtbarer machen. Seitens der Politik würde ich mir wünschen, dass es eine bundesweite Aufklärung gibt. Das wäre aus zwei Gründen sehr sinnvoll: Einerseits um es Betroffenen einfacher zu machen, zu argumentieren, warum sie nicht zur Arbeit kommen können ohne sich erklären zu müssen. Und andererseits um Frauen, die erkrankt sind, es aber noch nicht wissen, zu einer schnelleren Diagnose zu verhelfen.“

Für Victoria war es sehr niederschmetternd, von den Ärzten*innen nicht ernst genommen zu werden: „Das Vertrauensverhältnis leidet extrem darunter. Vorher ging man zum Arzt, wenn man erkrankt. Schließlich hat der ja studiert und weiß was er macht. Wenn man dann jedoch mit einer chronischen Krankheit konfrontiert wird und das erste Mal vor einem Arzt sitzt und der einem sagt „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann, weil wir bei dieser Erkrankung im Trüben fischen“, sitzt man da und denkt sich, okay und wie geht es jetzt weiter? Ich würde mir wünschen, dass Ärzte, wenn jemand schon zu ihnen kommt, sich spiegeln lässt oder permanent da ist, weil es der Person offensichtlich nicht gut geht, zumindest annehmen, dass es in den meisten Fällen schon einen Grund hat, sonst wäre der oder die Patient*in nicht da.“

Victoria Bautze. Copyright: Victoria Bautze.

„Das Problem, das es gesellschaftlich gibt, ist, dass der Wert der Gesundheit der Frau nicht hoch genug geschätzt wird“, verdeutlicht Prof. Dr. Mandy Mangler. „Es existieren zahlreiche Studien, die verdeutlichen, dass Männer mit Schmerzen in der Notaufnahme kürzer warten und ernster genommen werden als Frauen. Frauen ertragen viel mehr Schmerz als Männer. Es wird gesellschaftlich erwartet, dass Frauen ihren Schmerz nicht so sehr hinterfragen wie Männer. Wir Frauen müssen uns eine Stimme schaffen und darüber sprechen und sagen „Moment mal Leute, da müssen wir als Gesellschaft investieren und Forschung reinstecken und innehalten“. Ginge es um eine Männerkrankheit, wäre in der medizinischen Entwicklung wahrscheinlich schon sehr viel mehr unternommen worden.“

In Hinblick auf die Wahrnehmung der Krankheit Endometriose erhofft sich Victoria „dass die Erkrankung gesellschaftlich anerkannt wird. Dass es mehr Forschungen und mehr Verständnis, mehr spezialisierte Ärzte und auch ein besseres Auffangnetz für Betroffene gibt. Weil es schon so ist, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben und sobald man nicht mehr leistungsfähig ist, fällt man ziemlich hart durch das Raster. Und dann gibt es auch nicht mehr viel, was einen hält, wenn man nicht gerade eine Familie hat, die einen auch finanziell unterstützt. Es wäre einfach schön, sagen zu können ,Ich habe Endometriose‘ und die Antwort wäre ,Ach krass okay‘ und nicht ,Hä? Du siehst doch voll gesund aus‘ oder ,Ja, ich habe auch ’ne Periode‘ oder was man halt so hört. Es würde sehr viel helfen, wenn man nicht mehr in diese Erklärungsnot gerät, sondern ernst genommen wird. Das schmerzhafteste an dem Ganzen sind nicht nur die Schmerzen, die man hat oder die Umstellung, sondern die Verteidigungs-Arbeit, die man für sich selbst leisten muss bei Ärzten, bei Freunden, bei allen möglichen Menschen. Und die Bürokratie gegen die man kämpfen muss. Es fühlt sich manchmal an, als würde das Gesundheitssystem gegen einen arbeiten. Wenn man es da einfacher hätte, würde das vielen Betroffenen eine riesige Last von den Schultern nehmen.“

Auch wenn die Krankheit chronisch und sehr beeinträchtigend sein kann, ist es Victoria wichtig, den Betroffenen Mut zu machen. „Das klingt immer so abgedroschen, aber nach zwei Jahren mit der Erkrankung muss ich sagen, beginnt man, seinen Frieden damit zu machen. Man fängt irgendwann an, das alte Leben nicht mehr so sehr zu vermissen und das neue mehr zu schätzen. Meine Schwester hat mir einen tollen Satz gesagt, der mir sehr geholfen hat. Sie sagte: „Du brauchst ein neues Normal“. An dem Satz habe ich mich lange festgehalten, um zum Beispiel nicht zu sagen „Ich kann keine Pizza mehr essen“, sondern „Geil, ich entdecke die Welt der Antipasti neu!“. Weg von diesem „Ich muss verzichten“, hin zu „Ich darf umgestalten“. Das hat mir sehr geholfen.“

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